HSV und Werder inside: Bester zieht beim LSK vom Leder
„Baumgart hätte ich nicht als Trainer zum HSV geholt!“ Marinus Bester redete Klartext, als er am vorigen Montag beim LSK-Sponsorentreff in der Gaststätte „Hasenburg“ als Gastredner eingeladen war. Der ehemalige Torjäger von Werder Bremen, dem HSV und LSK sprach über seine ungewöhnliche Karriere als Amateurkicker, Bundesliga-Profi, HSV-Pressesprecher und Fernsehmoderator. Höchst interessant, höchst unterhaltsam. Das unterschied sich deutlich vom weichgespülten Blabla, das ehemalige Profis oft ablassen.
Blick zurück: Beim TSV Hittfeld lernte Marinus das Kicken. „Da wollte ich den Sprung in die 1. Herren schaffen. Bundesliga, das war nie mein Ziel.“ Doch der kleine Marinus schoss Tore am Fließband, sodass er dem Hamburger Trainer und Talentsucher Bernd Enge auffiel. So ging’s zum Verbandsligisten FC Süderelbe, wo er in einer Saison 22 Tore erzielte. Schon stand 1990 Werder Bremen vor der Tür: „Ich wurde eine Woche zum Probetraining eingeladen, hatte aber auch Musterung beim Kreiswehrersatzamt.“ Irgendwie klappte beides. „Nach der Woche war ich so kaputt, dass ich bei der Rückfahrt Hamburg verpennte und erst in Lübeck wieder aufwachte.“
Jedenfalls war Bester im großen Fußball angekommen. Er spielte bis 1992 bei den Amateuren (57 Spiele, 39 Tore) und viermal in der Bundesliga bei Meistertrainer Otto Rehhagel. „Der Otto war ein ganz feiner Mensch. Man konnte prima mit ihm auskommen – außer man enttäuschte ihn menschlich. Dann war’s vorbei“, kann Bester nur Gutes über Rehhagel berichten. Auch über dessen Ehefrau Beate: „Wir nannten sie die Trainerin. Sie spazierte oft durch unsere Kabine, auch wenn wir blank dastanden. Das machte ihr gar nichts aus.“
Nach zwei Jahren Werder wurde Bester erst zum HSV, dann zu Schalke 04 ausgeliehen. „Schalke war schon speziell. Es lief da damals nicht gut. Wenn wir mittags vom ersten Training reingingen, hatten viele Fans schon einen im Tee und wir wurden aufs Übelste beleidigt. Einige Spieler haben richtig zurückgepöbelt. Heute nicht mehr denkbar.“
Im Jahr 1994 ging’s zurück zu Werder. Bester pendelte zwischen Amateuren und Profis, machte elf Bundesligaspiele. „Da habe ich überlegt, wie es weitergehen soll. Es kam ein Angebot vom neuen Fußballsender Premiere. Sie wollten mich als Reporter, auch für die Champions League. Da habe ich zugesagt.“ Bester bekam ein Coaching vom legendären Ernst Huberty – und dann ging’s ab vor die Kamera!
Fehlte noch die Absage bei Werder. „Manager Willi Lemke wollte mit mir verlängern, für 10.000 Mark pro Monat. Das war damals viel Geld. Doch ich sagte ab. Da hat mich Willi nochmal zu Otto geschickt.“ Rehhagel verstand die Welt nicht mehr: „Marinus, was wollen Sie beim Fernsehen? Alles Verräter!“
Bester ließ sich auch nicht mehr vom großen Otto umstimmen. Denn sein Entdecker und Förderer Bernd Enge sorgte wieder für Kontakt nach Hamburg: „Bernd habe ich ganz viel zu verdanken.“ Also zurück zu den Amateuren. Bester wechselte 1995 zu Concordia Hamburg und Premiere, 1996 zu VfL 93 Hamburg, wo er Torschützenkönig der 3. Liga wurde. „Da lag mir mein Freund Riccardo Baich ständig in den Ohren, dass ich zum LSK wechseln soll.“
Bester überlegte, traf sich mit LSK-Trainer Harry Pleß auf der Autobahnraststätte Stillhorn. „Harry hatte den Kicker aufgeschlagen, rein zufällig die Seite mit der Tabelle, wo der LSK auf Platz 1 stand. Er fragte, was ich verdienen wolle, wir waren schnell einig. Aber erst wollte er mich im Probetraining sehen.“ Bester muss heute noch lachen, wenn er daran denkt: „Ich war Torschützenkönig – und zwar eine Klasse über dem LSK. Und Harry bittet zum Probetraining.“ Er ging trotzdem hin und war begeistert vom spielerischen Niveau mit Ex-Bundesliga-Profis wie Elard Ostermann und Ralf Sievers. 1998 wechselte Bester zum LSK, traf weiter munter. „Nach einem Jahr wollte mich Trainer Frank Pagelsdorf zurück zum HSV holen, aber ich habe abgesagt, weil ich einen Zweijahresvertrag in Lüneburg hatte. Ich fühlte mich da richtig wohl – auch in den dritten Halbzeiten.“
Unvergessen der Eklat beim Spiel FC St. Pauli II gegen LSK: „Ich habe ein Tor geschossen und anschließend mein Trikot hochgezogen. Darunter auf dem Shirt waren 20 HSV-Rauten. Das kam nicht so gut an.“ Untertrieben, denn nach dem Spiel wollten die Pauli-Fans Bester ans Leder. „Unter Polizeischutz wurde ich aus Hamburg rausbegleitet.“ Vorm Rückspiel wurde er von der Presse gefragt, mit welchen Gefühlen er in die Partie gehe. „Da habe ich gesagt, ich schieße zwei Tore – habe ich auch gemacht!“ Fröhlicher Sonderbeifall von den LSK-Sponsoren.
Im Jahr 2000 – nach 42 Toren in 63 Spielen – ging’s dann zurück zum HSV. „Ich hatte allerdings zehn Kilo Übergewicht, wegen der vielen dritten Halbzeiten beim LSK.“ Bis 2003 absolvierte Bester nochmal 15 Bundesligaspiele (2 Tore) und 78 Spiele (57 Tore) für die HSV-Amateure, die er in die Regionalliga schoss.
Dann war Schluss mit Fußballspielen. Bester wurde Pressesprecher beim HSV, ab 2003 Teammanager. Er hat von 1992 bis 2019 große Zeiten beim HSV miterlebt, ist unzähligen Trainern und Stars begegnet. Vor den gebannt lauschenden LSK-Sponsoren gab er freimütig Auskunft über die vielen HSV-Akteure jener Tage. Hier einige Zitate:
Über Kurt Jara: „Der musste einiges erleiden. Wir hatten im Europapokal 0:3 in Dnjeprpetrowsk verloren. Zurück ging’s im Flieger mit 200 Fans. Keine gute Idee. Die haben haben die ganze Zeit ein fieses Lied gegen den Coach nach der Melodie von ,Anton aus Tirol’ gesungen. Keiner vom Vorstand ist ihm beigestanden. Der arme Kurt! Aber seinen Wiener Schmäh hat im Norden auch nicht jeder verstanden…“
Über Klaus Toppmöller: „Ein toller Mensch und grandioser Geschichtenerzähler! Aber seine große Zeit war vorbei, als er zum HSV kam.“
Über Thomas Doll: „Ein Menschenfänger, dem die Kabine folgte.“
Über Huub Stevens: „Ja, der Knurrer aus Kerkrade. Er wusste aber, wie man Spieler anpackt. Einmal jammerten nach einem Spiel fünf HSVer über Blessuren, lagen beim Masseur, wollten nicht beim Auslaufen mitmachen. Huub ist rein und hat gesagt: ,Wer nicht ausläuft, spielt nächstes Mal nicht.’ Alle fünf sind aufgesprungen und raus zum Auslaufen.“
Über Martin Jol: „Er hatte eine Eigenart, sagte den Spielern: ,Unser nächster Gegner ist die beste Mannschaft der Bundesliga’. Und nach kurzer Pause leise: ‚Aber vielleicht auch nicht…‘ Oder: ,Sie haben den besten Spieler der Liga – aber vielleicht auch nicht’. Martin war einer der wenigen HSV-Trainer, die von allein gegangen sind. Sein Bruder sah genauso aus und hat das immer genutzt, um zehn Leute kostenlos in den VIP-Bereich zu bringen.“
Über Bruno Labbadia: „Ein Trainer mit viel Fußballverstand und guter Ansprache an die Spieler. Er hat nur ein Problem, dass ist sein ewiger Co-Trainer Eddy Sözer. Der legt sich nämlich immer mit den Spielern an, aber Bruno kann sich einfach nicht von ihm trennen.“
Über Armin Veh: „Er war Deutscher Meister mit dem VfB Stuttgart – und das hat er uns auch jeden Tag erzählt.“
Über Michael Oenning: „Ein absoluter Experte, mit dem man sich wunderbar über Fußball unterhalten kann. Aber zu weich für das raue Profigeschäft.“
Über Rodolfo Cardoso: „Ein großartiger Fußballer, aber leider mit sprachlichen Problemen. Er kauderwelschte so schnell, dass die Spieler ihn kaum verstehen konnten. Das ist dann schlecht.“
Über Bert van Marwijk: „Faul!“
Über Mirko Slomka: „Ein ewiger Besserwisser. Er war nicht nur der beste Trainer, sondern auch noch der beste Greenkeeper, der beste Arzt, der beste Teammanager und der beste Hausmeister. Und dann stellte er auch noch ständig seine Freundschaft mit Carsten Maschmeyer und Veronika Ferres zur Schau. Peinlich!“
Über Markus Gisdol: „Ähnlich wie Slomka. Und Gisdol erreichte die Spieler nicht.“
Über Josef Zinnbauer: „Ein ganz intelligenter und erfolgreicher Amateurtrainer, der schon in jungen Jahren als Unternehmer finanziell unabhängig geworden war. Aber ein U21-Trainer ist eben noch kein Bundesligatrainer.“
Über Bernd Hollerbach: „Er war mit nur einem Punkt aus acht Spielen der eigentlich Verantwortliche für den Abstieg in die 2. Liga.“
Über Christian Titz: „Er hat von Hollerbach übernommen und war nicht schuld am Abstieg. Später ist er entlassen worden, obwohl er auf dem 2. Platz stand. Das ist HSV. Titz musste gehen, weil Vorstandsvorsitzender Bernd Hoffmann den Stürmer Lasogga geholt hatte und drauf bestand, dass der spielte. Lasogga passte aber nicht ins System von Titz.“
Über Hannes Wolf: „Ein überragender Nachwuchstrainer. Er ist jetzt beim DFB genau auf dem richtigen Platz.“
Über Bernhard Peters: „Er war als Direktor Sport und Nachwuchs ein großartiger Stratege, hat sehr gute Strukturen im Nachwuchsbereich aufgebaut. Seine Entlassung habe ich nicht verstanden. Da bin ich zu Hoffmann gegangen und habe gekündigt.“
Über Dietmar Beiersdorfer: „In seiner ersten Amtszeit als Sportdirektor war er ein ganz feiner Kerl. Ein echter Teamplayer mit viel Vertrauen in seine Mitarbeiter. Er landete viele Toptransfers, holte u. a. van der Vaart, de Jong, van Buyten, Kompany, Olic, Boulahrouz, Mathijsen, Petric und andere. Später als Vorstandschef wurde deutlich, dass er keine Konflikte austragen mochte. Die Zeit danach hat ihm wohl nicht gutgetan. Erst bei Zenit St. Petersburg. Wenn da einer vor dir steht und sagt: ,In Moskau will Du ja wohl nicht gewinnen…’, dann macht das was mit einem. Und bei RB Salzburg kam er als Piefke nicht gegen die Ösis an. Als er zum HSV zurückkam, war er nicht wiederzuerkennen, sehr misstrauisch.“
Die rund 40 Zuhörer in der Hasenburg lauschten gebannt, besonders Ex-LSK-Torjäger Karsten Wagner, der größte HSV-Fan und -Experte in Nordeuropa. So viel Bundesliga inside, so offen, so sympathisch vorgetragen – das hatte man selten erlebt.
Es kam die Zusatzfrage, von welchen Spielern Marinus Bester am meisten beeindruckt gewesen sei. „Da fällt mir zuerst Ruud van Nistelrooy ein. Als er 2010 von Real Madrid kam und die Kabine betrat, da war ehrfürchtiges Schweigen. Ein Weltstar beim HSV, das hatte was.“
Beeindruckt war Bester auch vom jetzigen Bayern-Trainer Vincent Kompany: „Er kam 2006 als junger Spieler zum HSV. Ich habe mit ihm eine Wohnung gesucht. Aber 5000 Euro Monatsmiete – das wollte er nicht ausgeben. Dann lieber etwas kaufen. Ich bin mit ihm zu mehreren Banken gegangen und er hat um 0,1 Prozent Kreditzinsen gefeilscht. Er war mit 20 Jahren schon sehr organisiert und bodenständig.“
Schließlich ist Bester der ehemalige Sturmkollege Sergej Barbarez ans Herz gewachsen: „Wenn es eine soziale Aktion der Mannschaft gab, Busfahrt für Fans oder so – Sergej hat immer alles organisiert und zum Teil selbst bezahlt. Ein toller Mensch!“ Natürlich hat Bester mitgelitten, als sein Freund zuletzt als Trainer der bosnischen Nationalmannschaft mit 0:7 gegen Deutschland unter die Räder kam.
Zum Schuss wollen die LSK-Sponsoren natürlich noch wissen, was Marinus Bester vom aktuellen HSV hält. Die Verpflichtung von Trainer Steffen Baumgart hält er, wie eingangs erwähnt, für falsch: „Ralf Hasenhüttl war damals u. a. frei.“ Und zur Mannschaft: „Der HSV hat in der Defensive ein Tempoproblem. Schnecke Schonlau, wie ich ihn nenne, ist zu langsam und läuft den Gegenspielern dann in die Hacken. Meffert macht das Spiel auf der Sechs oft langsam. Linksverteidiger Muheim macht nach vorne gute Sachen, ist aber defensiv zu anfällig. Man kann nur hoffen, dass Torjäger Glatzel bald wieder fit ist.“
Bester geht immer noch zum HSV: „Aber nur als Fan. Ich bettele auch nicht um eine Eintrittskarte, sondern kaufe mir mein Ticket.“
Und was macht er sonst? „Beruflich bin ich ganz weg vom Fußball. Ich vertreibe jetzt großflächige Photovoltaik-Anlagen. Das macht mir Spaß. Außerdem trainiere ich den Bezirksligisten SG Scharmbeck-Pattensen. Wir sind Zweiter, haben leider gerade das Spitzenspiel gegen Tabellenführer Meckelfeld verloren. Aber das ist noch nicht entschieden!“
Entschieden haben sich vorigen Montag die Zuhörer in der Hasenburg, alle waren einig: Was für ein großartiger Abend! Das fand auch Moderator Manni Nitschke, der witzig-charmant durch die Bundesliga-Revue geführt hatte. Nitschke wünschte sich: „Wir tun im Moment alles dafür, dass der LSK wieder zu alter Stärke zurückfindet, damit wir eines Tages wieder einen Spieler wie Marinus Bester verpflichten können.“
Auch dafür langer Beifall von den LSK-Unterstützern. Top-Event und Aufbruchstimmung beim LSK!
Text + Foto: Jürgen Poersch