Es ist eines dieser Spiele mit dem Prädikat „vorentscheidend“: Regionalligist Lüneburger SK Hansa tritt am kommenden Sonntag um 14 Uhr in der Abstiegsrunde beim FC St. Pauli II an. Das Spiel steigt im Edmund-Plambeck-Stadion in Norderstedt, wo die Boys in Brown alle ihre Heimspiele austragen.
Der Blick auf die Tabelle zeigt, warum die Partie so brisant ist. St. Pauli steht mit 16 Punkten auf dem rettenden Platz 5, der LSK mit 14 Zählern auf Abstiegsplatz 7. Dazwischen der BSV Rehden mit 15 Punkten. Nicht wenige meinen, dass es womöglich leichter sei, die Kiezkicker zu überholen als die Rehdener, die zwar 1:4 gegen Spitzenreiter Phönix Lübeck untergegangen sind, danach aber zwei souveräne 3:0-Siege in Heide und gegen Altona hingelegt haben.
Dagegen ist der FC St. Pauli II überraschend schwach in die Abstiegsrunde gestartet. Nach einem 1:1 (Tor: Serhat Imsak) beim FC Oberneuland und einem spielfreien Wochenende gab es zuletzt eine 1:2-Niederlage (Tor: Bennet van den Berg) beim HSC Hannover.
Sechs Profis dabei – und doch verloren
Dabei hatte die U23 des FC St. Pauli in Hannover gleich sechs Spieler aus dem Zweitliga-Profikader am Start: Torwart Sören Ahlers, die Außenverteidiger Lars Ritzka (7 Zweitliga-Einsätze) und Niklas Jessen, die Mittelfeldspieler Finn Ole Becker (16 Zweitliga-Einsätze) und Lukas Daschner (7 Zweitliga-Einsätze) sowie 1,94-Meter-Sturmriese Igor Matanović (12 Zweitliga-Einsätze).
Diese sechs Profis haben laut transfermarkt.de einen Marktwert von 4,4 Millionen Euro. Allein der 21-jährige Becker, der nach Saisonende zum Bundesligisten TSG Hoffenheim wechselt, wird auf 2,5 Millionen Euro taxiert.
Aber: Das alles half der Truppe von Trainer Joachim Philipkowski wenig. Die Kiez-Legende (234 Bundesliga-Spiele für FC St. Pauli und 1. FC Nürnberg) haderte nach dem Spiel: „Wir sind gut gestartet, hatten gleich eine sehr gute Torchance. Anschließend haben wir zwei weitere halbe Möglichkeiten, machen das Tor aber nicht. Auf der anderen Seite macht der Gegner mit einem seiner ersten Konter das 1:0. Nach der Pause haben wir ihr Tor bedrängt und den Ausgleich geschafft. Wir fangen aber ein vermeidbares zweites Gegentor, weil die Absprache nicht gestimmt hat. Im Ganzen macht Hannover aus seinen Möglichkeiten zwei Tore, wir leider nur eins. Die Enttäuschung bei uns allen ist groß, uns hat die Überzeugung und Entschlossenheit gefehlt, das Tor zu erzwingen.“
Nun müssen Philipkowskis Jungs den ersten Dreier gegen den LSK erzwingen. LSK-Teamchef Rainer Zobel und Cheftrainer Qendrim Xhafolli müssen damit rechnen, dass Pauli wieder Profis einsetzt. Denn ausgerechnet an diesem Wochenende ist der Zweitliga-Spitzenreiter spielfrei (Länderspielpause), und Trainer Timo Schultz hat auch kein Testspiel angesetzt.
Zobel: „Wirklich hundert Prozent Lust?“
Fürchtet LSK-Teamchef Zobel, dass Paulis Zweite am Sonntag mit einem Schwung Profis aufläuft? „Nein, davor fürchte ich mich überhaupt nicht. Wenn sie mit sechs oder meinetwegen auch acht Profis spielen, bedeutet das häufig, dass die Mannschaft nicht eingespielt ist. Es ist oft schwerer, gegen eine gut eingespielte zweite Mannschaft anzutreten. Und ob die Profis wirklich hundert Prozent Lust haben, bei den Amateuren zu spielen, ist auch noch die Frage.“
Den Test gegen LSK gewann St. Pauli 1:0
Zuletzt standen sich der LSK und FC St. Pauli II am 31. Juli vorigen Jahres gegenüber. In einem Testspiel bei der Elstorfer Sportwoche verlor der LSK nach guter Leistung 0:1 (Tor: Bennet van den Berg) gegen spielstarke St. Paulianer.
Vor allem der pfeilschnelle Flügeldribbler Aurel Loubongo bereitete der LSK-Abwehr damals arge Probleme. Vorne gab es kaum ein Durchkommen für den LSK – auch nicht für Torjäger Malte Meyer, der nach abgesessener Gelb-Rot-Sperre am Sonntag wieder dabei ist.
Beim LSK spielen sieben Ex-Paulianer
Für etliche LSK-Spieler wird es im Edmund-Plambeck-Stadion ein Wiedersehen mit ihrem ehemaligen Verein geben: Marian Kunze, Alessandro Otte, Michel Oelkers, Erjanik Ghubasaryan, Maximilian Zoch, Yigit Yagmur, Constantin Jordanov – sie alle durchliefen Nachwuchsmannschaften des Kiezklubs und fielen am Ende durchs Sieb. Der Konkurrenzkampf um die wenigen Plätze im Profikader ist unerbittlich.
Viele Rückkehrer im LSK-Kader
Auch im LSK-Kader tobt der Kampf um die Startelf-Plätze. Torjäger Meyer kehrt wie gesagt zurück. Er ist gesetzt. Bei Abwehrchef Lukas Pägelow (Corona-Infektion) hoffen die LSK-Trainer, dass er bis Sonntag freigetestet ist. Das wäre wichtig, denn aus der zuletzt so starken Dreierkette Ghubasaryan, Otte und Correia Cà fehlt Ghubasaryan, weil er mit der armenischen U21-Nationalmannschaft unterwegs ist.
Auch Stürmer Jonas Seidel kommt nach seiner Knie-Operation langsam wieder in die Spur, saß gegen den SV Drochtersen wegen Personalnot sogar schon auf der Bank. „Aber für einen Einsatz wäre es noch zu früh gewesen“, sagt Seidel.
Wieder einsatzfähig ist der lange verletzte Außenbahnspieler Arthur Filimonov. Der defensive Mittelfeldspieler Daniel Hefele wird laut Zobel wohl weiter verletzt ausfallen. Der neue Spielmacher Kevin Barajas, der zuletzt wegen Verletzung fehlte, ist wieder im Training und einsatzbereit. Dasselbe gilt für Sturm-Neuzugang Bibie Njie.
Zobel: „Viele ganz feine Charktere“
Das sieht personell also ganz gut aus. Auch die Stimmung ist prächtig, denn der LSK ist in der Abstiegsrunde noch ungeschlagen. „Es macht mir ganz viel Spaß, mit diesen Jungs zu arbeiten“, schwärmt Rainer Zobel, „da sind viele ganz feine Charaktere dabei.“
Wie fühlt sich der Teamchef, der nach vier Jahren zum Saisonende aussteigt? Ist da ein Gefühl von Abschiedstournee? „Nein, überhaupt nicht“, widerspricht der 73-Jährige, „ich begleite die Mannschaft bis zum Schluss absolut professionell.“
Wie sieht er seine Rolle auf der Zielgeraden? „Das Training leitet ja schon länger Qendrim Xhafolli. Meine Aufgabe besteht jetzt darin, genau hinzuschauen und vielleicht Dinge zu sehen, die andere nicht sehen. Wenn mir etwas auffällt, dann führe ich oft Einzelgespräche mit den Spielern.“
Langes Gespräch mit Otte
Gibt es ein Beispiel? „Ja“, sagt Zobel, „zuletzt habe ich lange mit Alessandro Otte gesprochen. Er hat ja häufig Probleme mit der Hüfte, will aber immer voll mittrainieren, weil er meint, das er das seinen Mitspielern schuldig sei. Ich habe ihm gesagt, dass nicht seine Mitspieler, sondern wir Trainer das Team aufstellen. Und wir möchten, dass er so dosiert trainiert, dass er beim Spiel fit ist. Er hat zuletzt gegen Drochtersen hervorragend gespielt, wir brauchen ihn. Ich habe ihm gesagt, dass er nicht seine Fitness verliert, wenn er mal eine Woche weniger trainiert. Diese und andere Gespräche führe ich – das ist manchmal wichtiger als ein 100-Meter-Lauf.“
Der ausscheidende Teamchef ist also bis zur letzten Spielminute dieser Saison hochmotiviert. Schauen wir uns zur Motivation ruhig noch mal die Bilder vom September 2020 an, als der LSK den FC St. Pauli im Neetzer Jahnstadion mit einem 3:1-Sieg auf die Heimreise schickte.