So sieht das Cover des neuen Buches aus. Das Foto auf dem Titel ging um die Welt: FC-Bayern-Spieler Rainer Zobel setzt sich 1974 nach dem Gewinn des Europapokals der Landesmeister den Pokal auf den Kopf.
Foto: Arete-Verlag

Es beginnt mit einem Filmriss: Rainer Zobel erwacht völlig verkatert im Mannschaftshotel des FC Bayern München. Wo ist er? Langsam dämmert ihm: in Mönchengladbach. Nachmittags steht das Bundesligaspiel gegen die Borussia mit Netzer, Vogts und Heynckes an. Eigentlich der deutsche Classico. Doch an diesem letzten Spieltag ist alles wurscht. Denn drei Tage zuvor hat Zobel in Brüssel mit den Bayern als erste deutsche Mannschaft den Europapokal der Landesmeister gewonnen. 4:0 im Wiederholungsspiel gegen Atletico Madrid, ein rauschender Sieg mit einem überragenden Zobel im Mittelfeld (Video-Link am Ende dieses Textes). Den Triumph haben die Bayern drei Tage und Nächte gefeiert, so heftig, dass die Truppe an diesem Samstag in Gladbach nur bedingt gefechtsbereit ist. Macht nichts. Der FC Bayern ist schon Meister, die 0:2-Niederlage egal.

Diese Episode hat der NDR-Journalist Albrecht Breitschuh als Einstieg für sein soeben erschienenes Buch „ZOBEL – ein Glückskind des Fußballs“ gewählt. Der preisgekrönte Sportreporter, einst Teil der legendären „Bundesliga-Schlusskonferenz“, nimmt uns auf 240 bebilderten Seiten mit auf eine Reise durch ein halbes Jahrhundert Fußballgeschichte.

Lange Reise durch ein bewegtes Leben: Rund 30-mal hat sich der NDR-Journalist Albrecht Breitschuh (l.) in seinem Häcklinger Haus mit Rainer Zobel getroffen. Breitschuh hatte Zobel bei einem anderen Projekt kennengelernt und sofort gemerkt: Der Mann kann so viele faszinierende Geschichten erzählen, die füllen ganzes Buch.
Foto: Janina Breitschuh

Lattek bringt Zobel aus der Kreisliga in die Bundesliga

Die Reise beginnt in Wrestedt im Kreis Uelzen, wo Klein-Rainer mit dem Kicken im Verein beginnt. Klammheimlich, weil der strenge Vater nichts vom Proletensport Fußball hält. Es geht weiter zum SC Uelzen. Dort wird Riesentalent Zobel aber ins Kreisliga-Reserve-Team verbannt, weil der humorlose SC-Trainer ihn beim Discobesuch erwischt hat. Gleichzeitig spielt er in Jugend-Nationalmannschaft, wo er seinen Ziehvater Udo Lattek trifft, der ihn in die Bundesliga zu Hannover 96 vermittelt („Die haben so viele Blinde, da spielst Du immer“) und 1970 zum FC Bayern München holt.

Anschnauzer von Beckenbauer und Müller

Beim FC Bayern gewinnt Rainer Zobel mit den Weltstars Beckenbauer, Müller, Breitner und Maier von 1974 bis 1976 dreimal hintereinander den Europapokal der Landesmeister, heute Champions League, dazu dreimal die Deutsche Meisterschaft und einmal den DFB-Pokal. Er ist sechs Jahre Stammspieler bei den Bayern – aber erst, nachdem Franz Beckenbauer ihn auf den Pott gesetzt hat: „Für das Fußballspielen bin ich hier zuständig.“

Von Torjäger Gerd Müller bekommt der junge Himmelsstürmer Zobel auch gleich noch einen Einlauf, weil er es gewagt hat, aufs Tor zu schießen, statt ihn, den „Bomber der Nation“, anzuspielen: „Du Ruach!“, wütet Müller. Nordlicht Zobel versteht nur Bahnhof, erfährt später, dass es ein schlimmes bayerisches Schimpfwort ist: Du Egoist! Danach ordnet sich der Neu-Münchner ein, findet seine Rolle, ist in 180 Bundesligaspielen sowie zahlreichen DFB-Pokal- und Europapokal-Einsätzen unentbehrlich im Weltklasse-Ensemble.

Rainer Zobel kann viele Geschichten aus der FC-Bayern-Welt erzählen, die schon in den 70ern schillernd war. Von Februar bis Oktober hat Autor Breitschuh einmal in der Woche daheim in Häcklingen mit Zobel zusammengesessen und die Erinnerungen an ein aufregendes Fußballer-Leben zusammengetragen. Erst als Bundesligaspieler bei Hannover 96 und Bayern München, dann als Amateur beim Lüneburger SK. Es sind damals andere Zeiten im Fußball. Die Stars lassen es gern mal krachen nach dem Spiel (zuweilen auch vorher). Das Zigarettchen vorm Anpfiff gehört bei Zobel und anderen Profis zum Aufwärmritual.

Als Mick Jagger bei den Bayern rausfliegt

Als Bayern-Spieler ist Zobel prominent und hat Zugang zu Promi-Kreisen: Er trifft die Rolling Stones (im Buch schildert er, wie ein offensichtlich angetrunkener Mick Jagger die Bayern-Mannschaftssitzung stört und rausfliegt). Zobel ist mit Schlagersänger Roy Black („Ganz in Weiß“) befreundet. Er spielt mit dem Kabarettisten Dieter Hildebrandt, dem APO-Helden Rudi Dutschke und dem späteren Bundeskanzler Gerhard Schröder Freizeitfußball beim linksgerichteten FC Schmiere.

Zobel feiert mit Schauspielerin Iris Berben, Regisseur Rainer Werner Fassbinder, 68er-Ikone Uschi Obermaier, Schauspieler Fritz Wepper und anderen Promis in den Münchner Szene-Discos. Manchmal zecht er mit seinem Schulfreund Christoph Steiner (später Chefredakteur der Lüneburger Landeszeitung) bis zum Morgengrauen – und liefert anschließend ein Topspiel in der Bundesliga ab.

Absage an Helmut Schön: Lieber Abitur als WM

Zobel ist die Lauf- und Kampfmaschine im Münchner Mittelfeld, verschleißt die großen Spielmacher jener Tage: Günter Netzer, Wolfgang Overath – sogar den Jahrhundert-Fußballer Pelé. Das bringt ihm eine Einladung von Bundestrainer Helmut Schön ein, der ihn in den Kader für die Fußball-Weltmeisterschaft 1974 berufen will. Doch Zobel lehnt ab, weil er damals mitten im Abitur steckt. „Eine mutige Entscheidung“, findet der Bundestrainer. Deutschland wird Weltmeister, Zobel wird Abiturient.

Sensationstransfer: Zobel von den Bayern zum LSK

Rainer Zobel (l.) im Mai 1980 vor dem alles entscheidenden Aufstiegsspiel bei Bergedorf 85. Der LSK gewinnt vor 10.000 Zuschauern 1:0 (Tor: Wagner) und steigt in die 3. Liga auf.
Foto: Archiv Rölcke

Nach drei Europapokal-Siegen endet Zobels Bayern-Gastspiel 1976. Mit einer Sensation: Der 27-Jährige wechselt zum Verbandsligisten Lüneburger SK! Auch diesem Transfer, der Lüneburg damals elektrisiert und einen Fußballboom auslöst, widmet Autor Albrecht Breitschuh ein ausführliches Kapitel mit schönen Anekdoten. Bis hin zum doppelten Aufstieg und der blutigen Entscheidungsschlacht in Bergedorf im Mai 1980. Reporterfrage nach dem Aufstieg in die 3. Liga: „Herr Zobel, müssen Sie jetzt öfter als zweimal in der Woche trainieren?“ Zobel grinst: „Ich nicht, aber die anderen.“

Vom LSK in die Disco

Mit 33 Jahren beendet Rainer Zobel seine Spielerkarriere beim LSK. Ihm wird schnell langweilig, deshalb heuert er als Discjockey in der Uelzener Disco Big Ben an. Später übernimmt er den Trainerposten in seiner Heimatstadt bei Teutonia. Doch nicht lange. Im Jahr 1986 ruft der LSK erneut. Zobel wird Coach in Wilschenbruch. Er folgt einem anderen dreifachen Europapokalsieger auf der Wilschenbrucher Trainerbank: Horst Blankenburg, der als Libero von Ajax Amsterdam von 1971 bis 1973 den Cup geholt hatte, den Zobel sich 1974 in Brüssel auf den Kopf setzte.

Zobel rettet den LSK mit Wagner, Maiwald, Spincke, Idziak & Co. zweimal vorm Abstieg aus der dritten Liga. Dann wechselt er als Coach in den Profibereich. Erst Co-Trainer von Uwe Reinders bei Eintracht Braunschweig, dann Cheftrainer bei den Stuttgarter Kickers. Bei dieser Verpflichtung legt Udo Lattek wieder mal ein gutes Wort fürs Glückskind ein. Mit den Kickers steigt Zobel in die 1. Bundesliga auf. Jetzt ist er auch als Trainer ganz oben. Es folgen Engagements beim 1. FC Kaiserslautern und 1. FC Nürnberg. Es gibt im Buch viel zu lesen aus diesen Jahren, Insider-Infos aus dem deutschen Profifußball. Zahlreiche bekannte Namen tauchen auf, bisher unbekannte Geschichten hat Zobel auf Lager.

Nach Afrika, Arabien und in den Iran

Nicht minder fesselnd das folgende Kapitel. Zobel zieht hinaus in die Welt. Trainerstationen in Ägypten, wo er mit dem Vorzeigeklub Al Ahly Kairo dreimal den Titel holt und zum Volkshelden wird. Die Reise geht weiter durch Arabien, Südafrika, den Iran (Zobel: „Das schönste Land“), Georgien, Moldawien, wieder nach Ägypten. Und sie führt – typisch Zobel, der nie Karriereplanung betrieb – in die Kreisliga zum FC Wenden, wo seine beiden Söhne spielen.

„Für den LSK mache ich das“

Fast endet die unglaubliche Laufbahn des Rainer Zobel im kleinen Dorf Wenden nahe seines Wohnorts Braunschweig. Doch Ende 2017 ruft der alte Verein an. Der LSK braucht nach dem gesundheitsbedingten Rücktritt von Achim Otte dringend einen neuen Regionalliga-Trainer. Und Zobel, damals 69 Jahre alt, steigt noch einmal in den Ring, sagt ein drittes Mal in Lüneburg zu: „Für keinen anderen Klub würde ich das tun, aber für den LSK mache ich das.“

Der Kreis schließt sich: Rainer Zobel (vorne) war erst Spieler, dann Trainer beim LSK, Nach einer jahrelangen Reise durch die halbe Welt ist er vor drei Jahren zum LSK zurückgekehrt. Darüber freuen sich nicht nur die Spieler (v. l.) Stefan Wolk, Max Hüster, Sergej Litvonov, Haris Zlomusica, Bajrush Osmani, Phillip Wölfing und Abdul Gafar.
Foto: Janina Breitschuh

Zobels Lebenstraum: „Ein Stadion für den LSK“

Mit einem ausfürhlichen Kapitel über den Lüneburger SK schließt das Buch. Die lange Reise von Wrestedt über Uelzen, Hannover nach München, danach durch die halbe Welt – sie endet in einer Kabine in Lüneburg, wo Autor Breitschuh lauscht, wie LSK-Teamchef Rainer Zobel seine junge Mannschaft auf das Comeback nach Corona vorbereitet. Zobel – ein Glückskind des Fußballs, ein Glücksfall für den LSK.

Wann wäre dieses Glück vollkommen? Rainer Zobel hat es kürzlich bei der turbulenten Bürgerversammlung in Wendisch Evern, wo es um den neuen Sportpark ging, gesagt: „Ich bin jetzt 72 Jahre alt. Mein Lebenstraum ist, dass der LSK an meinem 75. Geburtstag ein eigenes Stadion hat.“ Bemerkenswerter Wunsch eines Mannes, der zu den Legenden des FC Bayern München zählt.

Fazit: Autor Albrecht Breitschuh und seinem Hauptdarsteller Rainer Zobel ist ein wunderbares Buch mit faszinierenden, verblüffenden und höchst unterhaltsamen Einblicken in den Fußball gelungen – von der Champions League bis in die Kreisliga. „ZOBEL – ein Glückskind des Fußballs“ ist im Hildesheimer Areta-Verlag erschienen. Es ist ab sofort im Buchhandel und online erhältlich. ISBN-Nummer: 978-3-96423-049-2. Ein wunderbares Weihnachtsgeschenk besonders für Fans des FC Bayern München und des LSK. Ein Muss für alle, die den Fußball lieben!

… und hier ist das Video von Zobels größtem Spiel

Dieser Bericht begann mit einem FILMRISS – er endet mit einem FILMTIPP: Es gibt bei Youtube ein wunderbares Video über den Europapokal-Triumph der Bayern 1974. In dem 20-minütigen Film des Bayerischen Rundfunks sieht man, welch grandioses Spiel Rainer Zobel mit der Nummer 8 beim 4:0 gegen Atletico machte, wie er einen der beiden spektakulären Treffer von Gerd Müller mit einem Zauberpass vorbereitete, wie Uli Hoeneß zweimal unwiderstehlich loszog und traf. Viel Spaß beim Gucken:

https://youtu.be/5RMZGBeejV8